„Solange die Liebe lebt, wird sie besungen von den Künstlern aller Zungen.“ (Gustav Seitz, 1961)
9. März – 24. August 2025
Noch einmal ganz neu zu entdecken und sinnlich zu erleben ist das Werk des Bildhauers und Zeichners Gustav Seitz in der aktuellen Ausstellung im Gustav Seitz Museum Trebnitz: „Die Kunst der Liebe“. Seitz’ künstlerisches Werk ist unübersehbar und spürbar vom Eros geprägt, von Beginn an war es der weibliche Leib, das Weibliche, dem sein besonderes Interesse und seine Liebe galten. 1961 zum Porträt, zur gegenwärtigen Gestaltung des Menschenbildes befragt, formulierte Seitz ein Plädoyer für die Liebe, mit dem er zugleich sein Festhalten am Figürlichen verteidigte und die Motivation seines bildnerischen Schaffens beschrieb: „Wenn unser Leben noch mehr mechanisiert würde, wenn die letzte Romantik … verschwände, werden die Menschen fortfahren, einander zu lieben, und solange die Liebe lebt, wird sie besungen von den Künstlern aller Zungen.“
Mitte der 1950er Jahre, noch in Berlin, vollzog sich im Werk von Gustav Seitz ein stilistischer Wandel: Die strenge Form der ethisch motivierten, idealtypischen Großplastiken der frühen Nachkriegszeit wurde aufgelockert. Und mit dieser Schaffensphase, in der Seitz begann, naturgegebene, individuelle Körper plastisch zu betonen, setzt die Auswahl der in der Ausstellung gezeigten Werke ein: Eine gelöste, bald humorvolle Freiheit der Empfindung zeigt sich hier in der Herausstellung individueller Leiblichkeit, die übersteigert, reduziert, „unvollkommen“ geformt ist. Zugleich experimentierte Seitz schon 1955 wieder mit dem Torso, nachdem er zwei Jahrzehnte lang ganze menschliche Körper gestaltet hatte.
Der Wechsel 1958 von Berlin nach Hamburg löste bei Seitz einen enormen kreativen Schub aus. Und er verliebte sich in eine „heißblütige Spanierin“, Antonia Esslen, ein „gefährliches, interessantes Weib“, wie er im April 1959 schrieb. In einer ganzen Serie von Antonia-Porträtplastiken und Masken umkreiste Seitz das Geheimnis des Eros. Ein neuer, zärtlicher Blick auf füllige weibliche Körper fand, als Ausdruck von Ganzheit und Glück, in den „Schwebenden Volumen“ seiner bekannten Plastiken Susanna, Tanzende und Lob der Torheit (1960) seine Ausgestaltung.
Vergänglichkeit und unaufhaltsamer Wandel hingegen charakterisieren die außergewöhnlichen, auf Wesentliches konzentrierten Torsi, die Seitz Anfang der 1960er Jahre schuf: Der Kontrast von Leiblichkeit und Fragilität des stehenden Weiblichen und des Männlichen Torsos (1963), beide ohne Kopf, erfährt in der liegenden Kleinen Flensburger Venus (1963) – die erfreulicherweise als Leihgabe vor Ort ist – eine besondere, in den Raum wirkende Steigerung. Neben der kleineren Bronze Catchertorso (1963) ist zudem Seitz’ monumentaler Geschlagener Catcher (1963/66) – unbestritten ein Hauptwerk der Bildhauerkunst des 20. Jahrhunderts, das lange vor dem Hamburger Kunsthaus aufgestellt war – fast originalgroß auf Atelierfotos präsent.
Darüber hinaus lässt sich nachvollziehen, wie Seitz die in den Torsi vorangetriebene Reduzierung noch weiter steigerte, bei den weiblichen bis hin zur Isolierung der Brust: Ganz neu im Museumsbestand befindet sich die nun erstmals hier gezeigte Bronze Weibliche Form (1967/68). In der Großen Stele (1967/68) und zuletzt in den filigranen Idolen (1967-69) überlagern und durchdringen sich das Weibliche und das Männliche. Seitz’ Weg in der Bildhauerei war auf die „Darstellung des Lebens in seiner Ganzheit und Fülle“ (1964) gerichtet. Dieser Aufgabe blieb er auch in den torsierten und reduzierten Plastiken treu, zuletzt beim stark abstrahierten Lunaren Kopf (1968).
Die Ausstellung bietet obendrein die seltene Gelegenheit, fast alle der 36 halbplastischen, die „Mysterien des Eros“ umspielenden Bronzereliefs (1963-69) sehen zu können, von denen einige für die 1973 prominent am Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe angebrachte „Porta d’amore“ zusammengefügt wurden.
„Meine Liebe gehört auch der Zeichnung. Ich zeichne alles“, kommentierte Seitz 1956. Und diese Liebe war intensiv, wie sich am Bestand von mehr als 4000 Zeichnungen im Archiv der Seitz Stiftung zeigt: Serien von Proportionsstudien nach dem menschlichen Körper, freie Skizzen für Figuren im Raum und für Reliefs; Studien für bauliche Kompositionen in Zusammenhang mit Plastik. Nur ein kleiner Teil dieser Arbeiten konnte bislang in Trebnitz gezeigt werden. Dass sich Seitz, nach eigenem Bekunden, beim Zeichnen „austobte“, lässt sich anhand der umfangreichen Serien erotischer Zeichnungen bestätigen. Diese Zeichnungen führen zum „Glutkern“ der erotischen Durchdringung von Seitz’ Werk. Eine größere Auswahl von Akten und von Szenen des Liebesspiels wird nun erstmals gezeigt. Seitz’ künstlerische Bejahung des Eros und der Liebe lässt sich als Bekenntnis zu einer aufgeklärten Humanisierung von Sexualität verstehen, in der sexuelle Erfüllung, Zärtlichkeit, Einfühlung und Vernunft einander bedingen, in der sinnlich-körperliche Begierde nicht verdrängt, aber auch nicht ungehemmt verabsolutiert wird.
Veranstaltungen
So., 9.3.2025, 15 Uhr
Vernissage
Musikalische Begleitung, iberisch inspiriert: Philipp Niedrich, Gitarre. Feldsteinscheune auf dem Campus Schloss Trebnitz
So., 18.5.2025, 15 Uhr
Der Bildhauer und sein Fotograf
In den 1960er Jahren fotografierte Michael Fackelmann mehrfach Gustav Seitz in der Hamburger Kunsthochschule in dessen Atelier. Die subtil inszenierten Aufnahmeserien vermitteln eindrücklich die dortige künstlerische Atmosphäre und Seitz’ tiefe Beziehung zu seinen Arbeiten. Ein Werkstattgespräch mit dem Fotografen und Filmemacher Michael Fackelmann: mit besonderen Fotos aus dem damaligen Hamburg wie aus Paris, wie es Seitz kannte und liebte. Sonderveranstaltung zum Internationalen Museumstag.
Ort: Feldsteinscheune und Museum
So., 15.6.2025, 16 Uhr
Von Liebe und Leid, Sehnsucht und Begehren
Sappho, die früheste Lyrikerin Europas, richtete ihre Liebesgedichte an junge Frauen. Villon huldigte seiner Dicken Margot, was auch Klaus Kinski aufgriff. Brecht sann eher undogmatisch „Über die Verführung von Engeln“ nach. Eine seiner bekanntesten Plastiken benannte Gustav Seitz nach dem ironischen Buch des Erasmus von Rotterdam: „Lob der Torheit“ („Encomium moriae“), erschienen 1509.
Katharina Behrens und Tobias Lenel präsentieren zusammen mit der Harfenistin Paula Towadei Conrad ein exklusives musikalisch-literarisches Programm. Auf den Spuren von Gustav Seitz-Werken geht es aus dem Museum heraus zu Sappho, François Villon und Bertolt Brecht, dann vorbei an Susanna, um beim Lob der Torheit zu enden.
Ort: Museum mit Museumsgarten, Kirche, Feldsteinscheune, künftiges Kunstforum Trebnitz, Dauer: ca. 1 Stunde
So., 24.8.2025, 16 Uhr
Finissage des 1. Teils der Ausstellung
Kammermusikalisches Sonderkonzert der Vereinigung „Junge Künstler stellen sich vor − Konzerte in Schlössern und Herrenhäusern der Mark Brandenburg“ mit Studierenden und Absolventen der Hochschule für Musik „Hanns Eisler“ und der Universität der Künste, Berlin. (17,- / erm. 12,- Euro)
Ort: Feldsteinscheune.
Davor, ab 14 Uhr, Führungen durch die Ausstellung und auf dem Campus Schloss Trebnitz.
Die Ausstellung ist Deutsch und Polnisch kommentiert. Ausführlichere Begleitinformationen und thematische Publikationen sind im Museum erhältlich. Wir danken allen Leihgebern für die hilfreiche Unterstützung.
Kurator: Lutz Dittrich
Grafikdesign: Esther Sternkopf
Übersetzungen: Agnieszka Grzybkowska
Lektorat der Übersetzungen: Marta Wróblewska
Foto ganz oben: Hamburger Atelier von Gustav Seitz: Gips der Flensburger Venus sowie Männlicher und Kleiner weiblicher Torso, Schauspieler und Reliefs, 1964. Foto: Eberhard Troeger © Gustav Seitz Stiftung
Mit freundlicher Unterstützung: